Sozialethischer Blog: Joachim Wiemeyer – Der VW-Skandal aus unternehmensethischer Sicht

Joachim Wiemeyer, geb. 1954, Studien der Volkswirtsl. Und Kath. Theologie, Prof. f. Christl. Gesellschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum

Durch die Finanzkrise 2007/8 war die Marktwirtschaft in den Augen der breiten Öffentlichkeit in Misskredit geraten, zumal im Zeitablauf immer wieder neue Skandale ans Licht kamen. Es konzentrierte sich aber die Kritik auf die Finanzwirtschaft. Hingegen verfügte die Realwirtschaft über höheres Ansehen, vor allem die deutsche Industrie, die aufgrund ihrer Ingenieure und Facharbeiter hohe Qualitätsstandards aufweist.
Indem bei VW erst nach Jahren die Manipulation der Dieselmotoren ans Licht kam, zeugt dies zwar von dem hohen technologischen Niveau, demonstriert aber zugleich einen unternehmensethischen Tiefpunkt. Zwar war die deutsche Automobilindustrie dafür bekannt in der politischen Lobbyarbeit die Verschärfung von Umweltnormen zumindest mit ihren Einführungszeiten nach hinten zu verschieben und / oder durch problematische Verwässerungen (etwa der Beimischung von Bioenergie) abzumildern, systematischen Betrug und Gesetzesverstöße hatte man ihr nicht zugetraut.
Für die Unternehmensethik stellt sich die Frage, welche Unternehmenskultur und welches Wertbewusstsein bei Mitarbeitern und Führungskräften vorherrscht, das man überhaupt auf die Idee kommen konnte, eine solche Software (auch beim Zulieferer Bosch) zu entwickeln und einbauen zu können. Durch die Umweltbewegung in den letzten Jahren und die Klimaschutz ist deutlich geworden, dass Umweltfragen ein immer höheres Gewicht erhalten. Daher müsste ein gesellschaftlich sensibles Unternehmen die staatlichen Abgasvorschriften lediglich als Mindestnormen ansehen, die ein umweltbewusstes Unternehmen noch übertreffen müsste, statt sie noch unterlaufen zu wollen.
Da der jahrelang praktizierte Einbau der Betrugssoftware durch externe Prüfer, nicht aber aus dem Unternehmen selbst heraus offengelegt wurde, stellt sich die Frage, obwohl es sicher eine größere Anzahl von Mitwissern gegeben hat, weshalb ein „Petzer“ (Whistleblower) an die Öffentlichkeit gegangen ist. Wird die dazu notwendige Zivilcourage in Deutschland hinreichend gefördert? Gibt es in der Öffentlichkeit wie durch gesetzlichen Schutz nicht den notwendigen Rückhalt?
Für die Affäre haben Vorstand und Aufsichtsrat die Verantwortung zu tragen, denn selbst wenn die zentralen Akteure bei VW wie der langjährige Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzende Piech sowie der Vorstandsvorsitzende Winterkorn den Einbau der Betrugssoftware nicht angeordnet und nichts davon gewusst haben, haben sie doch in Jahrzehnten der Unternehmensleitung ein Klima geschaffen, dass Untergebene überhaupt auf solche Ideen kommen konnten, etwa um unrealistische Vorgaben zu erfüllen und sich Prämien zu sichern. Erforderlich ist, dass sowohl Manager der Unternehmensspitze wie die direkt Verantwortlichen persönlich für den Milliardenschaden zur Rechenschaft gezogen werden. Man darf nicht Gehälter von 15-17 Millionen im Jahr beziehen, ohne für Fehlentwicklungen haften zu müssen.
Angesichts des hohen Organisationsgrade der IG-Metall in des großen Einflusses von Betriebsrat und Gewerkschaft bei VW muss sich die Gewerkschaft die Frage stellen, weshalb die Gewerkschaft bei Mindestlöhnen und Werkverträgen nach schärferen Gesetzen ruft, während vermutlich ihre Mitglieder an Rechtsverstößen beteiligt sind, zumindest aber der Betriebsrat und die Arbeitnehmervertreter an einer Unternehmenskultur beteiligt sind, die solches fördert. Dabei hätte der frühere Skandal um den Arbeitsdirektor Hartz und den Betriebsratsvorsitzenden Volkert schon früher für den vom jetzigen Betriebsratsvorsitzenden Osterloh geforderten „Kulturwandel“ führen müssen.
Für die staatliche Wirtschaftspolitik verschärft der Fall „VW“ wie bereits im Finanzsektor das Dilemma, dass die Politik in einer Marktwirtschaft der unternehmerischen Freiheit einen Vertrauensvorschuss gewähren muss, um die positiven Elemente marktwirtschaftlicher Dynamik und Innovationsfähigkeit zu sichern, sie aber andererseits nicht darauf verzichten kann eine Rahmenordnung zu setzen. Die Regeln und ihre bürokratische Überwachung werden umso dichter, je mehr Unternehmen ihre Freiheit missbrauchen. Insofern beinhaltet Marktwirtschaft immer ein Element der Selbstzerstörung.

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